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Fachkräftemangel – hat der Staat ihn nicht ernst genommen?

Es ist ein Thema, mit dem so gut wie jedes Unternehmen konfrontiert ist: der Fachkräftemangel! Im Jahr 2010 kündigte er sich nur schleichend an, denn eine Befragung zeigt, dass zu dem Zeitpunkt nur 15 % der Unternehmen diesen Faktor als Geschäftsrisiko einstuften.

2019 hingegen schien die Welt bereits eine andere zu sein. Laut der Konjunkturumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags aus dem Herbst 2019 sahen die Unternehmen den Fachkräftemangel mit völlig anderen Augen – es stellte nun das größte Hemmnis für sie dar. Doch lange Zeit passierte seitens des Staates nichts und die Zahl unbesetzter Stellen stieg und stieg. Jetzt, im Jahr 2023 stellt sich die Frage: Hat der Staat versäumt zu handeln und welche Maßnahmen können jetzt noch helfen?

Unternehmen haben mit den Folgen des Fachkräftemangels zu kämpfen

Unternehmen vieler Branchen sind auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften. Doch Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Luft bei der Suche nach Spezialisten immer dünner wird. Ende 2022 blieben letztlich 1,98 Millionen Stellen unbesetzt.

Auch die Pharmaindustrie spürt, dass es immer schwieriger wird, Experten zu gewinnen und Stellen schnell zu besetzen. Die Folgen?

  • Es werden mehr Ressourcen denn je, im Recruiting gebunden
  • Die Kosten für Personal und Recruiting steigen
  • Effektivität sowie Produktivität sinken
  • Innovationskraft und Wachstum sind nur eingeschränkt oder nicht mehr möglich
  • Motivation und Engagement bestehender Mitarbeiter kann sinken, wenn die Belastung aufgrund unbesetzter Stellen steigt
  • Abwanderung von Fachkräften zur Konkurrenz oder ins Ausland

Dabei ist die Spitze des Eisbergs noch nicht erreicht. Eine Studie vom Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (KOFA) aus dem Jahr 2022 zeigt, wo das Problem liegt: Etwa 22,8 %, also so gut wie jeder vierte Beschäftigte in Deutschland, ist derzeit über 55 Jahre alt. Die Babyboomer-Generation der Jahrgänge 1957 bis 1969 wird jedoch bald in Rente gehen oder sind bereits im Ruhestand.

Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass damit bis zum Jahr 2036 etwa 30 % der Erwerbstätigen dem Arbeitsmarkt verloren gehen. Anders ausgedrückt: 12,9 Millionen Arbeitskräfte verlassen den Markt und alle Prognosen gehen davon aus, dass eine Lücke entstehen wird, welche die nachrückenden Generationen nicht schließen können.

Gibt Ihnen diese Prognose zu denken? Mir auch!

Welche Rolle spielt der Staat?

Wir steuern unausweichlich auf dieses Szenario zu und haben nur noch wenige Jahre, um aktiv zu handeln. Allen voran geht es darum, auf staatlicher Ebene zu regulieren und Rahmenbedingungen zu finden, die den Unternehmen helfen können.

Es gibt verschiedene Optionen und Maßnahmen, mit denen der Staat kurz- und langfristig zu einer Verbesserung der Situation führen kann – einige davon hätten schon früher ergriffen werden sollen!

Kurzfristige Strategien

Wenn wir in Deutschland derzeit nicht in der Lage sind, den Bedarf an Fach- und Führungskräften zu decken, sollten wir uns bemühen, qualifizierte Zuwanderung zu fördern. Diese Maßnahme kann dazu beitragen, aktuelle Lücken zu stopfen und Unternehmen kurzfristig wieder Handlungsfähigkeit zu verleihen.

Damit geht auch die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse in unserem Land einher. Denn wer bereits seit Jahren als Experte in seinem Land für ein Pharmaunternehmen arbeitet, wird wohl kaum nach Deutschland kommen, wenn sein Anschluss hier nicht anerkannt wird. Wieder die Studienbank drücken, bevor man erneut in die Arbeitswelt starten kann? Dies ist wohl kaum ein attraktives Kriterium für Fachkräfte aus dem Ausland.

Eine verbesserte Anerkennung steigert hingegen die Arbeitsmarktchancen und erleichtert ihnen die Entscheidung, einen Job in Deutschland zu suchen. Eine Statistik aus dem 2021 zeigt, dass der Bundesstatistik seit Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes (1.4.2012), 240.063 Anträge zur Anerkennung einer ausländischen Qualifikation gemeldet wurden. Allein im Jahr 2021 wurden Entscheidungen in 39.327 Verfahren getroffen. Die Ergebnisse?

  • Nur 52 % wurden als gleichwertig anerkannt
  • 11 % wurden als teilweise gleichwertig bescheinigt
  • Ganze 35 % wurden mit einer Auflage, also einer Ausgleichsmaßnahme auferlegt
  • 2 % wurden nicht anerkannt

Die bürokratischen Hürden etwa für die Anerkennung oder ein Visum schrecken viele davon ab, diesen Schritt zu gehen. Hier muss Deutschland die bürokratischen Hürden senken, damit Unternehmen ihren Fachkräftebedarf decken können und damit dieser Schritt für ausländische Arbeitskräfte attraktiv wird.

Der erste Grundstein dafür ist bereits gesetzt, denn Anfang des Jahres verabschiedete das Bundeskabinett ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Die Zeit wird zeigen, wie sich dieses auf die Zuwanderung auswirkt.

Langfristige Strategien

Zuwanderung lindert den Schmerz kurzfristig, langfristig bedarf es mehr! Insbesondere eine Investition in das Bildungssystem ist notwendig. Hier sollte der Staat gleich mehrere Maßnahmen gleichzeitig ergreifen:

  • Frühkindliche Bildung: Eine frühzeitige Förderung von Kindern legt den Grundstein für ihre spätere Bildungs- und Berufslaufbahn. Investitionen in qualitativ hochwertige Kindergärten und Vorschulbildung verbessern die Bildungschancen und unterstützen die individuelle Entwicklung.
  • Duale Ausbildungssysteme: Ausbildungsverhältnisse, die Theorie und Praxis miteinander verbinden, sind in Deutschland eine verlässliche Quelle von Fachkräften. Investitionen in dieses System haben viel Potenzial für mehr Flexibilität, mehr Innovation und mehr Kompetenzen innerhalb der Arbeitswelt.
  • Lebenslanges Lernen: Wir leben in einer Welt der sich ständig verändernden Technologien und Trends. Darum müssen wir uns darauf vorbereiten, kontinuierlich neue Fertigkeiten zu erlernen. Es ist daher wichtig, diesen Wert von Beginn an zu fördern.

Lebenslanges Lernen beinhaltet, dass auch Weiterbildungen und Umschulungen für Erwachsene gefördert werden. Die Zeiten, in denen man seinen Ausbildungsberuf bis zum Rentenalter ausübt, sind längst vorbei. Hier lässt sich ein Erfolgsfaktor identifizieren: die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft.

Partnerschaften zwischen Bildungseinrichtungen und Unternehmen können beispielsweise für beide Seiten wertvoll sein. Die Unternehmen wissen schließlich, was sie suchen, welche Inhalte vermittelt werden sollten und können sich künftige Talente frühzeitig sichern. Die Bildungseinrichtungen können hingegen mehr Praxisbezug sicherstellen und auf relevante Inhalte reagieren.

Der Staat könnte aber auch wichtige Initiativen ergreifen, um die Entwicklung von Mitarbeitern in Unternehmen zu unterstützen und damit sicherstellen, dass Fachkräfte immer am Nerv der Zeit bleiben. Die Auswertungen des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass im Jahr 2020 bereits 77 % der deutschen Unternehmen Weiterbildungsmaßnahmen zur Qualifizierung ihrer Beschäftigten angeboten haben. Ein guter Wert? In einer Wissensgesellschaft, in der Technologien und Forschung schneller voranschreiten denn je, ist definitiv noch Luft nach oben!

Fazit – es ist Zeit zu handeln!

Hat Deutschland mit dem Problem des Fach- und Führungskräftemangels zu kämpfen? Ohne Frage. Hat der Staat diesen zu sehr auf die leichte Schulter genommen? Für viele Unternehmen scheint genau dies der Fall zu sein. Es ist daher an der Zeit, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Herausforderung bestmöglich zu begegnen. Die Uhr tickt, denn die restlichen Babyboomer werden bis zum Jahr 2036 ihr Renteneintrittsalter überschreiten und die Situation zusätzlich verschärfen. Der Staat muss daher jetzt mit kurz- und langfristigen Strategien reagieren, um der Situation zu begegnen.

Natürlich steht nicht nur der Staat, sondern auch jedes einzelne Unternehmen in der Pflicht, das Problem beim Schopf zu packen. Welche Maßnahmen kann Ihr Unternehmen ergreifen? Das verrate ich Ihnen im Folgebeitrag!