Pharma und die Gretchenfrage
Hören Sie auch seit einigen Jahren die immer lauter werdenden Stimmen, die gesellschaftliche Verantwortung von den Unternehmen fordern, für die wir arbeiten und deren Produkte wir konsumieren? Es sind wir Bürger*innen, die von Unternehmen erwarten, dass sie auf nachhaltigen Ressourcen-Umgang achten, ethisch korrekt wirtschaften und Innovationen hervorbringen, die menschliche Bedürfnisse erfüllen. Denn unsere gesellschaftlichen Probleme sind offensichtlich. Reichtum, Gesundheit, Bildung sind ungleich verteilt, unsere Natur ist kurz vor dem Kollaps. Als uns dann auch noch die Corona-Pandemie letztes Jahr überrollte, wurde uns allen bewusst, dass akuter Handlungsbedarf besteht.
So könnte man denn auch meinen, dass die Life Sciences Industrie aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz in einem positiven Licht in der Öffentlichkeit steht und öffentliches Ansehen genießt. Denn schließlich kümmert sie sich um unsere Gesundheit. Mit medizinischen Produkten und Dienstleistungen werden Menschen geheilt.
Seit der Entwicklung des Corona-Impfstoffs sehen wir jedoch, dass das öffentliche Vertrauen in die Pharmabranche in großen Teilen der Bevölkerung schwach ausgeprägt ist. Selbst unter Ärzt*innen und Pflegepersonal ist die Skepsis gegenüber der Industrie groß. Wie ich von Ärzt*innen auch aus meinem Bekanntenkreis erfahren habe, zweifeln sie daran, dass die Pharmaunternehmen den Wert Gesundheit über die Gewinnmaximierung stellen. Dies ausschließlich auf eine Affinität zu Verschwörungserzählungen oder Beeinflussung durch Falschmeldungen zurückzuführen, wäre schlichtweg falsch. Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig das gesellschaftliche Vertrauen in eine Branche hinsichtlich einer Werteorientierung ist, um Krisen wie diese zu überwinden.
Im Zusammenhang mit den Mitarbeitern der Pharmabranche und der Mitarbeitergewinnung ist es zudem einfach auch schade, dass die Branche kein Vertrauen genießt. Denn wenn ich mich mit top ausgebildeten Spezialist*innen und Führungskräften aus der Life Sciences Industrie unterhalte, höre ich, dass die Motivation dafür, gerade in die pharmazeutische Industrie zu gehen, darin liegt, Menschen zu helfen. Viele Expert*innen suchen nach einer Mission und einer sinnstiftenden Tätigkeit. Sie möchten einen nachhaltigen gesellschaftlichen Beitrag leisten und wünschen sich auch von ihren Arbeitgebern einen „corporate purpose“. Also einen höheren Zweck, der über die Gewinnorientierung des Unternehmens hinausgeht. Es passieren also zwei Dinge: Die Öffentlichkeit wird zunehmend kritisch, und Arbeitnehmer*innen ist es wichtig, in werteorientierten Organisationen zu arbeiten. Life Sciences Unternehmen täten gut daran, aus ihrer Komfortzone herauszukommen und deutlich aufzuzeigen, wie ihre Nachhaltigkeitsinitiativen abseits des wirtschaftlichen Wachstums aussehen.
Denn einen sozialen Mehrwert haben sie allemal zu bieten.